Titelbild sowie Abbildungen aus dem Buch «Tragt Sorge zur Natur»

1970: «Tragt Sorge zur Natur»

Von Patrick Zehnder, Co-Projektleiter und Autor

 

Für 1970 rief der Europarat in Strassburg das erste Europäische Naturschutzjahr aus. Aus diesem Anlass beschlossen im Kanton Aargau das Baudepartement, das Erziehungsdepartement und der Aargauische Naturschutzbund das Buch «Tragt Sorge zur Natur» herauszugeben. Zu Beginn des Schuljahres 1970/71 ging es an alle Lehrerinnen und Lehrer sämtlicher Stufen und Fächer, in der Hoffnung «mit diesem Beitrag über das Naturschutzjahr hinaus zu wirken». Die Kantone Schwyz, Luzern und St. Gallen übernahmen das Buch in einer bearbeiteten Form, das sich auch an Eltern und weitere interessierte Kreise richtete.

 

Geschrieben wurde «Tragt Sorge zur Natur» vom Natur- und Vogelschutzpionier Ernst Zimmerli (1928–2001) aus Zofingen. Er unterrichtete damals an der örtlichen Bezirksschule Mathematik, Biologie und Geographie und erhielt vom Kanton Aargau einen Urlaub, um das Buch verfassen zu können. Zimmerli leitete in Zofingen später das Schweizerische Zentrum für Umwelterziehung des World Wildlife Fund, um danach an der Bezirksschule Rothrist wieder zu unterrichten. Im Vorwort hielt der frühe Mahner fest «Im Laufe der Geschichte hat sich der Mensch in erschreckendem Ausmass an der Natur vergangen, aus Unkenntnis und Gedankenlosigkeit, aber auch aus Rücksichtslosigkeit und Egoismus. Dem Naturschutz gebührt – als Teil unserer menschlichen Kultur – ein fester Platz in der Bildung. Er ist Ausdruck einer ethischen Gesinnung, zu der wir unsere Nachkommen bewusst erziehen müssen.» (S. 4)

 

Herzstück der Anregungen, Anleitungen und Dokumentationen, wie es im Untertitel heisst, steht der zwölfteilige «Jahreskalender des Naturschützers». Für den März arbeitete Ernst Zimmerli mit Kontrasten: «Hinten im Talgrund, zwischen moosüberwachsenen Steinen, dort, wo eine durchlässige über einer wasserdichten Gesteinsschicht lagert, entspringt das Waldbächlein. Kühl und klar, gefiltert und erneuert, tritt das versickerte Regenwasser wieder zu Tage. Dem grössten Gefälle gehorchend, bahnt es sich seinen Weg talauswärts. Seitenbäche münden von beiden Seiten in den Hauptlauf und verstärken ihn. Rotgetupfte Forellen schiessen durchs sauerstoffreiche Nass. Larven der Lid- und der Kriebelmücke stemmen sich mit ihren Haftscheiben gegen die reissende Strömung, in die sich die stets muntere Wasseramsel auf der Futtersuche kopfüber hineinstürzt. An die Unterseite der grösseren Kiesel im Bachbett pressen sich plattgedrückte Strudelwürmer, die ihre Schlupfwinkel mit lustigen Gehäuse bauenden Köcherfliegenlarven, mit dickköpfigen Groppen oder gar einem seltenen Neunauge. Im schilf- und buschumstandenen Weiher schaltete der Bach eine Rast ein und entledigt sich des ersten mitgeführten Ballastes. […] Der Bach wird zum Fluss. Dorf reiht sich an Dorf, Stadt an Stadt. Immer neue grössere Schmutzwassermengen fliessen dem Wasserlauf zu. Gedankenlose Leute werfen gar Unrat aller Art und Tierkadaver in sein Bett. Das letzte Hochwasser hat eine Auswahl davon auf eine Sandbank geschwemmt:  Autopneus, Blechkessel, Büchsen, Plastikdosen, Kanister, Kisten, Harasse, eine stinkende tote Katze. […]» (S. 39)

Originallegende: «In einem Bächlein helle… Oben: Dorfweiher, unten: Strandgut der Zivilisation.»

 

Zum Sommermonat August nahm Ernst Zimmerli den «American Way of Life» aufs Korn: «Hart an der Landstrasse, in einem von waldigen Hügeln umkränzten, idyllischen Tälchen, scharen sich um eine baufällige Hütte Dutzende von Autowracks, ausgediente Helfer der Menschheit. Hie und da kommt der eine oder andere ausgebaute Ersatzteil zu neuen Ehren. […] Jedes Fahrzeug hat seine Geschichte. Die eine – die von «Firebird» - wollen wir verfolgen. Einst ein rassiger Achtzylinder der Sportwagenklasse, kauert er bescheiden im Hintergrund, zusammengestaucht, zerbeult, mit zerschlagenen Scheinwerfern und Scheiben. Firebird war der Liebling Bobs. Dieser hiess zwar schlicht Robert Meier, hatte aber eine Vorliebe für alles Amerikanische. «In» waren für ihn vor allem auch Autos. Er wusste Bescheid über in- und ausländische Kennzeichen, über Typen und Marken, über Zylinderzahl, Hubraum, Pferdestärke, Höchstgeschwindigkeit und Preis. Weniger gut vermochte er einen Spatz von einem Buchfinken zu unterscheiden oder genau zu sagen, woher seine Hauptnahrungsmittel, Brot und Milch, stammten. Doch wozu das? Das war «out». Papa und Mama sprachen nie über solche Dinge, sondern meistens über Geld, Kleider, Autos, Parties… und Geld. Bob hielt sich an die Motoren. Mit fünf trampelte er seinen Mini-Mercedes durch den Park; mit zehn steuerte er rassige Rennwagenmodelle über eine elektrische Autobahn; mit fünfzehn ratterte er auf dem Moped durch die Gassen. Ein Vierteljahr nach dem achtzehnten Geburtstag erwarb er mit Glanz und Glorie sein Billet. Er kannte alle Verkehrszeichen, die letzten der Vorschriften. Die Experten lobten seine ausgezeichnete Fahrtechnik. Niemand machte sich über Bobs unreifen Charakter, über seinen Autofimmel Gedanken. Zur Ehre des Tages schenkte Direktor Meier seinem Sohn Firebird, einen schmissigen, grellroten Sportwagen. Hochgestimmter Meister über zweieinhalbhundert Pferdestärken brauste Bob zu allen Tageszeiten durch Stadt und Land, fegte mit quietschenden Bremsen um die Strassenecken, schreckte mit aufheulendem Motor die Mitbürger aus der Nachtruhe, erzwang sich auf Überlandstrecken mit schrillen Hornklängen den Vortritt. […] Bob und seine Freunde schätzten Zigaretten, Chewing-Gum und fliegende Verpflegung. Am Strassenrand verriet eine Spur aus Stummeln, Papier, Plastik- und Kartonpackungen, Büchsen und Flaschen den Verlauf der motorisierten Schnitzeljagd. […]» (S. 83–84)

Originallegende: «Das unrühmliche Ende der Helden der Landstrasse – ein Schandfleck in der Landschaft!»

Originallegende: «Zwei Prachtexemplare von ‘Blechtouristen’.»