Zur «Unsitte der Konkubinatsfälle» 1967

Von Patrick Zehnder, Co-Projektleiter und Autor

 

Traditionelle Familienmuster hatten in der Schweiz lange Bestand, länger als im benachbarten Europa. Dies gilt auch für den Aargau. Umso heftiger diskutierten Gesellschaft und Politik alternative Lebensformen, ganz besonders das Konkubinat. Im Gegensatz zu vier Nachbarkantonen, die das Zusammenleben ohne Trauschein auf Antrag verfolgten, blieb der Aargau in dieser Sache liberal. Der Kanton kannte keine Sanktion des Konkubinats. Trotzdem war diese Lebensweise umstritten.

 

Dies verrät eine kleine Anfrage im Aargauer Grossen Rat vom 2. Mai 1967. Zwar blieb sie letztlich ergebnislos, aber sie zeigt die allgemeine Befindlichkeit der Zeit. Der parlamentarische Vorstoss stammt vom Sozialdemokraten Robert Locher (1929–2018), der dem Kantonsparlament von 1965 bis 1980 angehörte und dieses 1978/79 präsidierte. Er war von 1966–1988 erster vollamtlicher Gemeindeammann von Spreitenbach und wandte sich vor diesem lokalen Hintergrund besorgt an die Kantonsregierung: «Im Gegensatz zu anderen Kantonen wird im Kanton Aargau das Konkubinat geduldet. Im Nachbarkanton Zürich zum Beispiel ist diese Unsitte gesetzlich verboten. Dies hat zur Folge, dass in Regionen, die an den Kanton Zürich grenzen, die Konkubinatsfälle im Zunehmen begriffen sind. Diese Zustände erwecken immer grösseres Ärgernis und bringen den lokalen Behörden vor allem dann viel Unannehmlichkeiten, wenn sich unmündige Kinder getrennter oder geschiedener Ehen in solchen Milieus aufhalten müssen.

Ich frage deshalb den Regierungsrat an, welche Möglichkeiten er sieht, um diesem unerfreulichen Zustand wirksam zu begegnen.»

Abbildung «Liebeskarte der Schweiz» 1971 (Wochenzeitschrift «Sie+Er», Nr. 34/1971)